Kantabrien 2005

  • Boardmag
  • 16.11.2005

Ein Reisebericht
von Jo Meschede, surf@boardmag.com
Bilder von Jo, Flo Duhse u. Björn


Sopelana

Das Surren des Motors ist für die Nacht unser ständiger Begleiter. Wir gleiten über die Straßen von Frankreich unserem Ziel entgegen: dem Atlantik. Wo es letztendlich hingehen soll ist noch unklar. Klar ist, wir wollen in die Wellen. Am frühen Morgen treffen wir den Rest unserer bunt zusammengewürfelten Truppe in Seignosse. Sofort machen die üblichen Surfergeschichten die Runde. „Man, ihr hättet Gestern da sein müssen, wir hatten Hammer Wellen!“ Leider muss ich ihnen zustimmen, denn ich hatte am Tag zuvor das Finale des WCT-Contests im Netz verfolgen können. Ich wäre auch gern da gewesen...


"Unsere" Bucht, an einem kleinen Tag

Nach einer kurzen Lagebesprechung, einem Frühschoppen und einem Blick auf 2m hohe Closed-out Wellen wird unsere Reisplanung etwas klarer: Wir wollen nach Kantabrien. Ab ins Auto und noch mal 3 bis 4 Stunden Fahrt. Dann ist es soweit und wir haben eine Bucht gefunden, in der zumindest Timo und ich ins Wasser gehen wollen: Die Bedingungen sind nicht gerade einladend, aber in Freiburg gibt es gar keine Wellen. Das Lineup ist eher chaotisch, die Wellen brechen ziemlich unübersichtlich, plattgedrückt vom auflandigen Wind. Ein paar kraftvolle 1m Wellen versprechen jedoch die ersten Ritte. Und so soll es dann auch sein. Die ersten Sekunden auf dem Brett lassen alle Sorgen und Probleme wegfliegen; was zählt ist nur die Wellenwand und es ist uns vollkommen egal, das es lausige Bedingungen sind.

Währendessen haben sich die anderen um eine Behausung gekümmert und führen uns hin. Ein Gartenhäuschen auf einem Camingplatz wird unsere Unterkunft. Eher als Notlösung gedacht, soll sie unsere Behausung für die nächsten zwei Wochen werden. Sofort wurde Bier kaltgestellt, die Dartscheibe aufgehängt, gekocht und gezockt. Die lange Reise und das Bier verkürzen den Abend, zumindest für uns Nachzügler. Die anderen gehen noch in eine Bar, ich spüre nur noch das Schaukeln der Wellen und schlafe selig ein.



Unser Lebenselexier und unsere Behausung

7h30, Dawn Patrol. Das Leben eines Freizeit-Surfers ist schon hart. Da hat man Urlaub, aber die innere Unruhe lässt einen, trotz viel zu wenig Schlaf, kurz vor Sonnenaufgang aufwachen. Mit pelziger Zunge und müden Knochen schleppe ich mich bm_osgesp_vier.jpgdie fünf Minuten bis zum Strand. Es hat auf jeden Fall Wellen. Leider sehe ich nur Weißwasserwalzen bis zum Horizont, und dass in beiden Buchten, die in der Nähe unserer Unterkunft sind. Wir frühstücken und fahren nach Langre, dort wo wir Gestern waren. Die Bedingungen sind ein wenig besser, die Laune ist bei allen super, weil wir unseren ersten sonnigen Tag in einer lauschigen Bucht verbringen können. Es sind nicht zu viele Leute im Wasser, so dass auch wir ab und an eine Welle kriegen. Wir feuern uns gegenseitig an, labern Scheiße oder sitzen nur da und ziehen uns die Szenerie rein. Wieder wird Bier aufgemacht, getrunken und gelacht. Als wir abends alle völlig platt die Treppe vom Strand hochquälen, werden die Wellen immer besser. Oben angekommen beißen wir uns in den Arsch, dass wir alle zu fertig sind um noch mal ins Wasser zu gehen. Aber unsere Zeit bei den Wellen hat ja erst angefangen.


Flo Dob. rockt die Bucht in Langre

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Die Zeit wird relativ. Stunden und Tage verschmelzen. Es gilt jeden Augenblick auszukosten. Die Kunst dabei ist, nicht die Balance zu verlieren. Hastet man den Erlebnissen hinterher, will man einen besonderen Eindruck an den nächsten reihen, braucht man bald immer krassere Erlebnisse, um nicht in einen Zustand der Langeweile zu verfallen. Gerade beim Surfen kann es schwierig werden sich zu motivieren. Werden die Bedingungen schlechter, wird auch öfters die Stimmung schlechter. Gelangweilt pisst man sich gegenseitig an, weil man die aufgestaute Energie nicht loswerden kann. Dazu kommt noch, dass es in jeder Gruppe, die zusammen auf Reisen geht, eine Phase der Ernüchterung gibt, ein stimmungsmäßiger Tiefpunkt. Auch wir sind dagegen nicht ganz immun, aber die Kabbeleien – wer kochen muss, wer abspülen muss, wer essen holen geht – halten sich im Rahmen und werden bei einem Darttunier mit ein paar Bier heruntergespült. Zum Glück steht der Wellengott auf unserer Seite und lässt uns nicht völlig hängen. Jeden Tag können wir ins Wasser, manchmal zwar nur bei kniehohen Wellen, aber dem ausgeglichenen Hobby-Surfer können auch diese ein Grinsen aufs Gesicht zaubern.

Tag für Tag werden wir mit unserer Umgebung vertrauter. Wir fahren die Küste hoch und runter und checken nahezu alle Surfspots ab, die uns der Stormriders Guide und die Locals verrieten. In Noja kommen wir an einer feinen Poollandschaft vorbei. Zwar zeigt der Boden schon Erosionserscheinungen, aber mit großen Rollen kann man noch gut durch den Pool heizen. Ich hätte mir nur noch gewünscht, richtig skaten zu können, aber das Rumrollen macht auch so Spaß.


Ein wahrlich farbenfroher Pool

Es ist klar, dass wir für Boardmag fett representen...


Boardmag bald weltweit

Die Stunden am Strand brennen sich allerdings am tiefsten in meine Erinnerung ein. Eigentlich müssten wir uns schämen, vom Schicksal derart beglückt zu werden. Aber die schöne Zeit und den schönen Ort zu verschmähen, wäre auch das Falsche. Also surfen wir, bis die Arme nur noch Gummi waren, pflücken Muscheln, schlürfen Austern und jagten Krebsen und Fischen hinterher. Abends treffen sich alle reisenden Surfer, die gerade an „unserer“ Bucht standen, am Lagerfeuer. Bier und Surf-Geschichten machen die Runde, auf deutsch und englisch, untermalt von Digeridoos, Gitarren und Bongos. Leider kommt kein richtiger Kontakt zu spanischen Surfern zustande, aber zumindest kann auch keine offene Feindseligkeit festgestellt werden.


Björn zeigt uns seinen Beitrag fürs Abendessen. Es wurde ein riesiges Miesmuschel-Gelage. Hmm.

Das einzig Beständige ist der Wandel. Dieses Prinzip lässt sich auch auf unsere Reisegemeinschaft anwenden. Es verlassen uns einige, andere kommen hinzu. In der zweiten Woche gesellt sich Flo Duhse zu uns, der es aber vorzieht auf die Campingplatzgebühr zu verzichten und lieber in einem kleinen Auto direkt am Strand pennt.


Berria beglückt uns mit dem Traum eines jeden Surfers

Dawn Patrol. Die Wellen in der Bucht von Ajo sind 2-3m closed out. Wir machen uns auf nach Berria. Es hat ablandigen Wind, und die größeren Sets sind 2m hoch. Drei bis vier beständige Wellen laufen in der Bucht, und die hungrige Meute verteilt sich in Grüppchen über 500m. An keinem Take-off Spot ist es zu voll; jeder bekommt genügend Wellen. Wir paddeln mal hier und mal dort hin und surfen mit einem breiten Grinsen ein paar der besten Wellen die wir je hatten.


Der aufstrebende Surfjournalist Flo Duhse beim Take-off in Berria

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So langsam läuft es. Take off, Bottom-Turn und dann wird die Welle in kleinen Kurven, manchmal mit einem Cutback, bis sie zumacht oder ausläuft gesurft. Die Bails werden seltener und oft können wir unsere Freunde bei ihren Ritten beobachten. Von hinten sieht man sie verschwinden, nach dem Bottom-Turn tauchen Kopf und Oberkörper über dem Wellenrücken hervor und gleiten den Strand runter. Zum Schluss sieht man entweder einen Kopf, der sich aus den Weißwassermassen hoch kämpft, oder den ganzen Surfer, der sich über die Lip katapultiert um einem Waschgang zu entgehen. Alle von uns machen Fortschritte und keiner will aus dem Wasser.


Sogar der Autor legte für ein paar Stunden den Stift zur Seite und wurde in Berria auf einer Welle abgelichtet

Nach ein paar Stunden sind jedoch alle platt und wie wir an den Strand gehen, werden die Bedingungen schlechter. Kaum aus dem Anzug geschlüpft, werde ich vor eine Entscheidung gestellt. Entweder abends nach Freiburg heimfahren, oder da bleiben und mit Flo zurückfahren. Geht das? Zu zweit mit drei Brettern in einem Seat Ibiza ohne Dachgepäckträger? Flo meint es geht, obwohl das Auto mit seinem Zeugs alleine schon vollgestopft aussieht. Soll ich jetzt nach Hause fahren, mit der Aussicht, dass ich Hammer-Wellen, burning lefts, firing rights, Freaksets, Ghostswells und Tube-Rides verpasse, oder soll hier noch bleiben, mit der Möglichkeit, dass ich nur rumhänge, ein flaches Meer beobachte und mir wünschte ich wäre in Freiburg? Es ist, glaube ich, nicht schwer nachzuvollziehen, warum die letztere Alternative attraktiver erschien...


Ein spanischer Surfer zeigt uns in Sopelana wo's langgeht.

Am Abend läuft feuert die Bucht in Ajo, keiner außer uns ist im Wasser, und der Traumtag geht weiter. Einige wirklich gute Spanier gesellen sich zu uns und zeigen, dass sie „unsere“ Bucht besser kennen als wir. Sie starten die Welle an Stellen, bei denen ich nur denke, jetzt haut es die aber mächtig auf die Fresse. Aber einer nach dem anderen kommt wieder zum Vorschein. Viele Tubes werden gefahren – leider nicht von mir.


Was will man mehr?

Dawn Patrol. Wieder Berria. Der letzte Tag scheint sich zu wiederholen. Die Session ist mindestens genauso gut wie gestern. Nachdem ich aus dem Wasser komme steht eines fest: Schon wegen den paar Stunden im Wasser hat es sich gelohnt länger da zu bleiben.

Es regnet. Wir fahren mal wieder nach Langre. Die Wellen sind sehen gut aus, es sind aber nur ein paar Leute im Wasser, die allerdings fast keine Wellen kriegen. Wir gehen rein und bereuen es nicht. Die Wellen sind zwar schnell und schwierig zu bekommen, aber wenn man mal eine hat, dann geht’s ab. Flacher Take off, eine langgezogene Schulter und in der Inside wird die Welle noch mal richtig steil. Einmal erlaubt mir eine solche Welle in eine Tube zu fahren. Ich sehe nur noch Wasser um mich herum und stürze. Es ist zwar ein einzigartiges Gefühl, wenn man vollständig von Wasser umspült wird, die Spiritualität die diesem Moment zugeschrieben wird, kann ich allerdings nicht ansatzweise nachvollziehen. Vielleicht geht mir dieses Metaphysische auch völlig ab.


Letzte Session, letztes Bild auf der Wassercam. Some spanish guy.

Es regnet noch immer. Flo erzählt mir von ein paar guten Wellen bei Bilbao. Wir packen zusammen und fahren los. In Bilbao werden wir von Sonnenschein und freundlichen Locals auf dem Parkplatz begrüßt. Die Swelllinien laufen sauber rein, aber leider ist Flut und alles bricht sich erst am Strand. Nach einer gemütlichen Mittagspause und Gesprächen trotz Sprachbarrieren steigen wir eine weitere Treppe zu einem weiteren Strand hinunter. Der Meeresgrund ist zwar ziemlich felsig, aber die Strömung ist nicht stark und die Wellen sind nicht zu heftig. Wir haben eine weitere witzige Session und knipsen uns gegenseitig mit einer Einwegwasserkamera. Während wir uns umziehen versinkt die Sonne hinter einem Hügel. Wir essen und kleben eine Plastikplane an die Seite des Autos als Schutz für meinen Schlafplatz.


Ess- und ...


...Schlafplatz

Es ist Samstag. Wir sind noch immer in Spanien. Am Montag muss ich wieder in die Uni. Langsam will ich nach Hause, obwohl es sonnig ist und immer noch gute Wellen hat. Wir fahren nach Sopelana. Dort herrscht Wochenendstimmung. Tausende Spanier bevölkern den Strand und das Wasser. Die Wellen sind aber so gut, dass wir trotz des überfüllten Lineups surfen müssen. An das Gefühl, mit zehn Leuten gleichzeitig eine Welle anzupaddeln kann ich mich wohl nie gewöhnen. So hat diese Session einen faden Beigeschmack für mich. Irgendwann wird es mir zu voll und ich gehe raus und knipse noch ein bisschen rum. Wir setzen uns in eine Bar direkt am Strand, trinken Bier und machen einen Plan für die Heimfahrt. Noch eine Abendsession, dann zusammenpacken und nach Frankreich fahren, dort irgendwo pennen und dann entweder surfen oder heimfahren. Die Abendsession bietet einen würdigen Abschluss unserer Reise. Das Wasser ist spiegelglatt, die Wellen brechen ziemlich konstant an der gleichen Stelle und man kann ca. 50m surfen. Wir bleiben im Wasser bis die Ebbe überall Steine freilegt. Wir genießen den letzten Sonnenuntergang, steigen ins Auto und fahren nach Frankreich. Irgendwann in der Nacht kommen wir in Biscarosse an. Flo pennt im Auto und ich in einem kleinen Wäldchen, dass ein bisschen Schutz vor der Feuchtigkeit bietet. Am Morgen holen wir uns einen Kaffee und ein Schokocroissant und checken die Wellen. Keine Sau ist im Wasser, 2m closed out. Wir entscheiden uns dafür heimzufahren. Der Motor surrt, während wir zufrieden über die Straßen Frankreichs gleiten.


Kaum ist man fort will man wieder hin. Auch wegen solchen Momenten.

 

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